Japan besteht aus 47 Präfekturen, von denen ich die meisten in den letzten Jahren besucht habe. Zur Vervollständigung fehlen nur noch vereinzelte eher unbekannte Präfekturen (Miyazaki, Saga, Tottori, Wakayama, Shiga) – und der Großteil des Nordostens Japans.
Letztens hatten wir einen kindfreien Sonntag und beschlossen, direkt morgens zur Präfektur Fukushima zu fahren. Ja, die mit dem Tsunami und dem Atomkraftwerk. Die standen allerdings nicht auf unserem Plan.
Streamer, die ihr Spielen von Videospielen online teilen, sind wie die meisten YouTuber Trends unterworfen. Anfang 2024 spielten alle japanischen Streamer plötzlich ein kleines Indie-Horror-Spiel names “The Exit 8” (8番出口 Hachi-ban Deguchi). Dieses wurde innerhalb von neun Monaten von einer Einzelperson erstellt und besticht durch sein Setting und sein simples Spielprinzip.
Der Spieler bewegt sich auf der Suche nach Ausgang 8 durch die Gänge einer U-Bahn-Station. Diese Gänge kennt jeder, der in einer Großstadt lebt. Ihr Aussehen unterscheidet sich kaum. Es gilt, diesen Gang achtmal entlangzulaufen, bis man den gewünschten Ausgang erreicht hat. Eine eigentlich einfache Aufgabe. In dieses allen bekannte Setting schleichen sich im Spiel aber Anomalien: Die Beschilderung ist falsch. Die Deckenlampen sind komisch angeordnet. Ein Türknopf ist an der falschen Stelle. Das Licht flackert.
Wenn man trotz einer solchen Anomalie weiterläuft, landet man wieder am Anfang des ersten Gangs. Wenn man bei Entdecken einer Abweichung umkehrt, gelangt man in den nächsten gleich aussehenden Gang. Wenn man umkehrt, obwohl alles normal war, geht das Spiel von vorne los. Es gilt also achtmal hintereinander zu erkennen, ob alles “normal” ist. Mich hat das übrigens zwei Stunden Spielzeit gekostet.
Das Spiel hat keine Geschichte. Niemand redet. Dennoch haben schlaue Menschen es geschafft, aus dem erfolgreichen Spiel einen überaus erfolgreichen Film zu machen. Innerhalb von zwei Wochen hat er knapp 14 Millionen Euro und damit mit Sicherheit ein Vielfaches seiner Produktionskosten eingespielt.
Das hat mich dermaßen neugierig gemacht, dass ich auch ins Kino gegangen bin.
Der namenlose Hauptcharakter wird in der U-Bahn Zeuge, wie ein älterer Mann eine Frau anherrscht, weil ihr Baby weint. Kurz darauf nimmt er einen Anruf seiner Ex-Freundin entgegen, die ihm eröffnet, schwanger zu sein. In plötzlich aufkommender Panik, die bei ihm auch einen Asthma-Anfall auslöst, läuft er kopflos auf der Suche nach dem Ausgang durch die Gänge der U-Bahn-Station und landet in einem Gang, der wie in einer Schleife nicht endet.
“The Exit 8” steht in der Tradition japanischer Horrorfilme, in denen altbekannte Gegenstände und Orte sich plötzlich in einen Albtraum verwandeln. Wer braucht einen axtschwingenden Serienmörder, wenn der Alltag so viele Chancen bietet, richtig gruselig zu werden?
Im Kino schafft es der Film eine Anspannung zu erzeugen, die die gruseligen Elemente gut wirken lässt und wirkliche Schreckmomente erzeugt. Ich zweifle daran, dass das im Heimkino mit seinen vielen Möglichkeiten zur Ablenkung auch so gut funktionieren würde. Vor dem Hintergrund, dass das Spiel keine Geschichte hatte, wirkt die Geschichte des Films interessant – alleinstehend als Film betrachtet ist sie aber ziemlich platt. Das Ende überraschte mich dann trotzdem.
Aber die größte Überraschung ist für mich noch immer, dass innerhalb eines Jahres aus einem kleinen Indie-Spiel ein erfolgreicher Film mit einem Hauptdarsteller, den wirklich jeder in Japan kennt, werden konnte.
Ein alter Kumpel von mir ist der deutsche Redakteur des Manga Chainsaw Man. Als solcher hatte er mir den Manga lange empfohlen, bevor ich mich endlich dazu durchringen konnte, mir in einer Mittagspause die erste Folge des Anime anzusehen.
Schlechte Entscheidung, der Anime ist nicht dazu geeignet, nebenbei zu essen. Fernsehserien haben in meist keine Altersempfehlung, aber der Film ist in Japan ab 12 freigegeben. Zur Einordnung: Pulp Fiction hat in Japan die gleiche Altersfreigabe. Aber irgendwie packte mich der Anime und der Manga stellte sich als um noch Längen besser heraus.
Die erste Staffel des Anime umfasste nur die Handlung bis zum fünften Band des Manga. Der nächste Handlungsstrang, die Geschichte um Reze, kam nun als Film in die Kinos.
チェンソーマン レゼ篇 Chainsaw Man – The Movie: Reze Arc (2025) (Trailer)
Regisseur: Yoshihara Tatsuya
Drehbuch: Seko Hiroshi
Stimmen: Toya Kikunosuke, Ueda Reina
Denji, in dessen Brust das Herz des Kettensägen-Teufels Pochita schlägt, hat sich an seine Arbeit als Teufelsjäger im Auftrag der Regierung gewöhnt. Noch immer ist er in seine undurchsichtige Chefin Makima verliebt, doch eines Tages trifft er im Regen auf eine junge Frau, die ihn an seinen eigenen Gefühlen zweifeln lässt. Reze ist offensichtlich an Denji interessiert und einfach verdammt süß. Es könnte so schön sein, wäre nicht jede Frau, die sich je für Denji interessiert hat, eigentlich hinter dem Kettensägen-Teufel her…
Viele Fans des Manga hatten am Anime bemängelt, dass dieser zu sentimental, zu wenig überdreht, zu wenig B-Movie sei. Kurz vor Veröffentlichung des Films veröffentlichte das Animationsstudio MAPPA einen Neuschnitt, der diese Probleme beseitigt und auch der Film folgt ganz dem Ton des Manga. Das bedeutet verrückte Kampfszenen, absurde Dialoge und vor allem Spaß. Dass MAPPA animieren kann, weiß inzwischen jeder (es ist auch das Studio hinter Jujutsu Kaisen), aber falls Zweifel bestehen sollte, räumt dieser Film diesen aus.
Das Geschehen auf der Leinwand lädt so lange zum Lachen ein, bis es einem zum Ende hin im Hals stecken bleibt. Einen großen Anteil daran haben natürlich die Synchonsprecher. Ueda Reina ist perfekt als Reze, ob liebenswürdig, bösartig, hart oder verletzlich. Letztendlich möchte man, dass sie ihr Glück findet. Das Ende lässt den Zuschauer aber mit einem unguten Gefühl im Bauch zurück – in Chainsaw Man gibt es kein gutes Ende für niemanden, und schon gar nicht für die, die es nach den Gesetzen normaler Dramaturgie verdienen würden.
Der Film lohnt sich nur wirklich, wenn man die erste Staffel des Anime gesehen oder den Manga bis zum Ende des fünften Bandes gelesen hat. Dann aber richtig. Für alle anderen gibt es immerhin zwei neue Lieder von Yonezu Kenshi, der auch schon das Opening des TV-Animes beigesteuert hatte.
Jetzt, Ende September, kühlt es auch hier in Tokyo etwas ab. Dieser Sommer war, wie auch der letzte, viel zu heiß und lang. Im August hatten wir in Tokyo genau zwei Tage, an denen die Höchsttemperatur unter 30°C lag. Wir hatten das schon vorhergesehen und deswegen Ende des Monats vier Tage in Nagano in den Bergen gebucht.